Reitsport

Zitiervorschlag: Yael Nadja Strub, Reitsport, in: Anne Mirjam Schneuwly/Yael Nadja Strub/Mirjam Koller Trunz (Hrsg.), Sportverbandskommentar, https://sportverbandskommentar.ch/reitsport, 1. Aufl. (publiziert am 14. August 2023).


Kurzzitat: Strub, Rz. xx.


Literatur

Adolphsen Jens, Internationale Dopingstrafen, Tübingen 2003; Arter Oliver/Gut Eva, Verantwortlichkeit des Veranstalters von Sportanlässen, in: Kleiner Jan/Baddeley Margareta/Arter Oliver (Hrsg.), Sportrecht – Band II, Bern 2018, S. 19 ff.; Arter Oliver/Kleiner Jan, Der Zuschauer im Sport, in: Kleiner Jan/Baddeley Margareta/Arter Oliver (Hrsg.), Sportrecht – Band II, Bern 2018, S. 111 ff.; Baddeley Margareta, Unterwerfungserklärung von Athleten – ein Anwendungsfall allgemeiner Geschäftsbedingungen, ZBJV 2008, S. 357 ff.; Brehm Roland, Berner Kommentar OR, Die Entstehung durch unerlaubte Handlung, Art. 41 – 61 OR, 5. Aufl., Bern 2021; Brunner Claudia V., Tierquälerei im Pferdesport, Diss., Zürich 2013; Brunner Hans-Ulrich, in: Grolimund Pascal/Loacker Leander D./Schnyder Anton K. (Hrsg.), Basler Kommentar Versicherungsvertragsgesetz, 2. Aufl., Basel 2023; Burgherr Marc, Entscheide von Exekutivorganen im Verein als Gegenstand der Anfechtungsklage von Art. 75 ZGB, Diss., Zürich 2010; Del Fabro Marco, Ein Streifzug durch die Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB, AJP 2015, S. 1140 ff.; Fellmann Walter, Der Tierhalter – Begriff oder Typus? SJZ 1987, S. 337 ff.; Fenners Henk, Der Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit im organisierten Sport, Diss. Zürich 2006; Fischer Willi/Böhme Anna, in: Luterbacher Thierry/Fischer Willi (Hrsg.), Haftpflichtkommentar, Zürich 2016; Fuchs Christoph, Rechtsfragen der Vereinsstrafe, Diss., Zürich 1999; Girsberger Daniel/Voser Nathalie, International Arbitration, 4. Aufl., Zürich 2021; Haas Ulrich, Sportverbandsstruktur, in: Schneuwly Anne Mirjam/Strub Yael Nadja/ Koller Trunz Mirjam (Hrsg.), Sportverbandskommentar; Haas Ulrich/Strub Yael, Entwicklungen im Sportrecht, SJZ 2023, S. 147 ff.; Haas Ulrich/Martens Dirk-Reiner, Sportrecht – Eine Einführung in die Praxis, Zürich 2012; Haas Ulrich/Köppel Judith, Abwehransprüche des Sportlers gegen (angeblich rechtswidriges) Verbandsverhalten vor dem Court of Arbitration for Sport (CAS/TAS), Jusletter vom 16. Juli 2012; Hausheer Heinz/Aebi-Müller Regina E., Sanktionen gegen Sportler – Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, ZBJV 2001, S. 338 ff.; Heini Anton/Portmann Wolfgang, Das schweizerische Vereinsrecht, Schweizerisches Privatrecht, II/5, Basel 2005; Heini Anton/Portmann Wolfgang/Seemann Matthias, Grundriss des Vereinsrechts, Basel 2009; Honsell Heinrich/Isenring Bernhard A./Kessler Martin A., Schweizerisches Haftpflichtrecht, 2. Aufl., Zürich 2013; Kessler Martin A., in: Widmer Lüchinger Corinne/Oser David (Hrsg.), Basler Kommentar Obligationenrecht I, 7. Aufl., Basel 2019; Krenger Bart, Haftungsfragen in der Pferdehaltung, BlAR 202, S. 213 ff.; Netzle Stefan, «Swiss Sport Integrity» seit Anfang 2022 in Betrieb, SpuRt 2022, S. 233 ff.; Niggli Christina, in: Arnet Ruth/Breitschmid Peter/Jungo Alexandra (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Personen- und Familienrecht inkl. Partnerschaftsgesetz, Art. 1-456 ZGB, Zürich 2016; Oftinger Karl/Stark Emil W., Schweizerisches Haftpflichtrecht, II/1, Zürich 1987; Philipp Peter, Rechtliche Schranken der Vereinsautonomie und der Vertragsfreiheit im Einzelsport, Diss., Zürich 2005; Riemer Hans Michael, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Band I, 3. Abt. 2. Teilband, Die Vereine, Systematischer Teil und Art. 60 – 79 ZGB, Bern 1990; Derselbe, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage im schweizerischen Gesellschaftsrecht, Bern 1998 (zit. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage); Scherrer Urs/Brägger Rafael, in: Geiser Thomas/Fountoulakis Christiana (Hrsg.), Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, Basel 2022; Schlosser Peter, Vereins- und Verbandsgerichtsbarkeit, München 1972; Schnyder Anton K./Portmann Wolfgang/Müller-Chen Markus, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. Aufl., Zürich 2013; Sprecher Thomas, Die Anfechtung von Vereinsbeschlüssen, in: Kunz Peter V./Arter Oliver/Jörg Florian S. (Hrsg.), Entwicklungen im Gesellschaftsrecht X, Bern 2015, 147 ff.; Strub Yael, Verschuldensrechtliche Besonderheiten beim gedopten Sportpferd, CausaSport 2020, S. 479 ff.; Summerer Thomas, in: Fritzweiler Jochen et al. (Hrsg.), Praxishandbuch Sportrecht, 4. Aufl., München 2020; Walter Gerhard, Die Rechtsnatur der Disziplinarkammer für Dopingfälle von Swiss Olympic, in: Bachmann Birgit et al. (Hrsg.), Grenzüberschreitungen, Festschrift für Peter Schlosser zum 70. Geburtstag, Tübingen 2009, S. 1049 ff.; Wiegand Wolfgang, Widmer Lüchinger Corinne/Oser David (Hrsg.), Basler Kommentar Obligationenrecht I, 7. Aufl., Basel 2020.

I. Allgemeines zum Sport

[1]

Der Schweizerische Verband für Pferdesport (SVPS) wurde 1900 gegründet und ist der nationale Dachverband des Reitsports. Der SVPS ist Mitglied von Swiss Olympic und der Fédération Equestre Internationale (FEI). Direkte Mitglieder des SVPS sind Verbände des Pferdesports, der Pferdezucht und der Pferdeberufe. Jährlich zahlen rund 20'000 aktive Pferdesportler*innen die Gebühr der Lizenz oder des Brevets des SVPS und sind somit zur aktiven Teilnahme am Wettkampfsport berechtigt.

[2]

Die grosse Bedeutung des Reitsports innerhalb des Schweizer Sports manifestiert sich zum einen in der Grösse des Dachverbandes (der SVPS gehört zu den 10 grössten Sportverbänden der Schweiz) zum anderen aber auch im Medaillenspiegel der schweizerischen Olympiamedaillen: Die Schweizer Reitsportler*innen haben bisher 23 Medaillen an Olympischen Spielen gewonnen, womit der Reitsport Platz fünf im Medaillenspiegel der Schweiz bei Olympischen Sommerspielen nach Sportart belegt.

II. Organisation des Verbandes

A. Organe des Verbandes

[3]

Der SVPS ist als Verein nach Art. 60 ff. ZGB organisiert und im Handelsregister eingetragen. Oberstes Organ ist die Mitgliederversammlung, die mindestens einmal pro Jahr stattfindet (Art. 7 Statuten). Der Vorstand kann darüber hinaus jederzeit eine Mitgliederversammlung einberufen (Art. 7.5 Abs. 2 Statuten). Zudem hat eine Mitgliederversammlung zu erfolgen, wenn ein Fünftel aller Mitglieder eine Versammlung unter Angabe der Traktanden verlangt (Art. 7.5 Abs. 3 Statuten).

[4]

Stimmberechtigte Mitglieder des SVPS sind Regionalverbände und Fachverbände, die Voll- oder Teilmitglieder sind. Die Regionalverbände unterstützen die ihnen angeschlossenen Vereine und engagieren sich im Bereich Förderung und Ausbildung der Basisreiterei und des Pferdesports, während die Fachverbände als Organisationen mit schweizweiter Bedeutung in diversen Fachbereichen (z.B. Pferdesport, Pferdezucht oder den Pferdeberufen) tätig sind (s. Mitgliedschaftsbeschrieb auf der Webseite des SVPS). Alle Voll- und Teilmitglieder haben je eine Basisstimme (Art. 7.2 Abs. 1 Statuten). Weitere Stimmen erhalten die 22 Vollmitglieder nach Massgabe ihrer Grösse (gemessen an der Mitgliederzahl). Sie erhalten pro 500 Einzelmitglieder sowie für das angebrochene Bündel an 500 Einzelmitgliedern eine weitere Stimme – bis maximal total 25 Stimmen (Art. 7.2 Abs. 2 Statuten). Stimmberechtigt sind auch die Vorstandsmitglieder (ausgenommen bei der Décharge-Erteilung, Art. 7.3 Abs. 2 Statuten).

[5]

Die Versammlung ist beschlussfähig, wenn zu Beginn der Versammlung die Mehrheit der Mitglieder und der Stimmen anwesend sind. Sinkt die Anzahl Mitglieder oder Stimmen während der Versammlung unter dieses Quorum, bleibt die Beschlussfähigkeit erhalten (Art. 7.7 Statuten).

[6]

Abstimmungen erfolgen – soweit die Stimmenmehrheit keine geheime Abstimmung beschliesst – offen und mit absolutem Mehr der abgegebenen Stimmen (Art. 7.9 Statuten). Wahlen erfolgen ebenfalls offen (soweit kein Antrag auf geheime Wahl beschlossen wird) und im ersten Wahlgang mit dem absoluten Mehr. Stehen mehr als zwei Kandidat*innen zur Wahl und erreicht keine/r das absolute Mehr, scheidet diejenige Person mit der geringsten Stimmenzahl aus. Für die übrigen Kandidaten gilt ab dem zweiten Wahlgang das relative Mehr. Bei Stimmengleichheit ist das Los entscheidend (Art. 7.8 Statuten). Nebst der Wahl der gesetzlich vorgesehenen Organe wählt die Mitgliederversammlung auch die Rechtspflegeorgane (Art. 7.1 lit. n Statuten).

[7]

Die fünf bis sieben Mitglieder des Vorstandes (einschliesslich des Präsidenten oder der Präsidentin) werden von der Mitgliederversammlung gewählt. Die Amtsdauer beträgt vier Jahre, wobei ein Mitglied höchstens für drei Amtsperioden hintereinander gewählt werden kann. Der Präsident oder die Präsidentin kann (zusätzlich zu allfälligen Amtsperioden als Vorstandsmitglied) für höchstens drei Amtsperioden hintereinander gewählt werden (Art. 8.2 Statuten). Zurzeit besteht der Vorstand aus sieben Mitgliedern (Stand 2023). Die Beschlussfähigkeit des Vorstandes ist bei Anwesenheit der Mehrheit der Mitglieder gegeben. Beschlüsse werden offenbar mit der Mehrheit gefällt, was der Hinweis auf den präsidialen Stichentscheid bei Stimmengleichheit impliziert (Art. 8.4 Statuten).

[8]

Die Revisionsstelle wird von der Mitgliederversammlung jeweils für ein Jahr gewählt (Art. 9.1 Statuten).

[9]

Innerhalb des Verbandes nehmen diverse Kommissionen (z.B. die Veterinärkommission oder Reglementskommission) spezifische Aufgaben wahr. Organqualität haben aber – nebst den gesetzlich vorgegebenen Organen – nur die Rechtspflegeorgane. Als solche gelten gemäss Art. 10.2 Statuten die Jury von Wettkämpfen, die Sanktionskommission (Sako) und das Verbandsgericht resp. gemäss dem Rechtspflegereglement nur die Sako und das Verbandsgericht (§ 2 Abs. 1 Rechtspflegereglement). Die Mitglieder der Sako und des Verbandsgerichts werden von der Mitgliederversammlung gewählt (Art. 7.1 lit. m Statuten), Gewisse Teile der Rechtsordnung wurden «outgesourct» (so zuletzt im Bereich der Ethik-Verstösse durch Zustimmung zum Ethik-Statut von Swiss Olympic). Die Bereiche des Humandopings und der Ethikverstösse fallen in die Zuständigkeit von Swiss Sport Integrity und der Disziplinarkammer des Schweizer Sports von Swiss Olympic (dies kann zumindest implizit Art. 10.4 Abs. 1 Statuten sowie Art. 1.15 und 7.7 des Generalreglementes i.V.m. dem Dopingstatut und dem Ethikstatut von Swiss Olympic entnommen werden).

B. Bindung an die Vereins- und Verbandsregeln (mitgliedschaftlich/vertraglich)

1. Bindung der direkten Mitglieder des Dachverbandes

[10]

Der Reitsport ist – wie fast alle Sportverbände – pyramidenartig aufgebaut und folgt dem Ein-Platz-Prinzip (siehe hierzu den Beitrag von Haas), das auch Swiss Olympic in seinen Statuten verankert hat (Art. 2.2.1 Abs. 4 Statuten von Swiss Olympic: «Die Mitgliedschaft ist ausgeschlossen für Sportverbände, deren Sportart bereits durch einen nationalen Sportverband im Sinne dieses Artikels organisiert und geregelt wird»). So steht der SVPS im Schweizer Reitsport an der Spitze. Auf der nächsttieferen Stufe stehen seine direkten Mitglieder, die sich aus der Gesamtheit der 22 Voll- und acht Teilmitgliedern ergibt. Direkte Mitglieder des Verbandes werden durch ihren Beitritt an die Regularien gebunden (Heini/Portmann/Seemann, Rz. 55; Fuchs, S. 11; BK ZGB-Riemer, Art. 70 N 47; Summerer, S. 241 Rz. 225). Die automatische Bindung an die Statuten und Reglemente durch Beitritt setzt allerdings voraus, dass Mitglieder die Möglichkeit erhalten, diese auch zur Kenntnis zu nehmen (BK ZGB-Riemer, Art. 70 N 45; Philipp, S. 86). Die Einhaltung dieser Anforderung sichert der SVPS mit der Notwendigkeit, dem Beitrittsgesuch die Erklärung beizulegen, wonach der Gesuchsteller (und auch seine Mitglieder) die Statuten und Regelwerke vorbehaltslos anerkennt (Art. 3.2 lit. d Statuten). Der Zugang zu den Regularien ist durch die Publikation auf der Webseite des Verbandes gewährleistet.

2. Bindung der indirekten Mitglieder des Dachverbandes

[11]

Am Fusse der Pyramide der Reitsportverbandsstruktur sind die Vereine und ihre Mitglieder (Reiter*innen). Diese sind keine direkten Mitglieder des SVPS. Dennoch sollen diese an dessen Reglemente gebunden werden. Dafür gibt es zwei Ansätze: die Satzungsketten und der Regelanerkennungsvertrag

[12]

Mit Hilfe von lückenlosen Satzungsketten können Verbände ihre Regelwerke «nach unten» weiterreichen, indem sie, wie der SVPS, ihre direkten Mitglieder verpflichten, die Regelwerke des Verbandes an ihre Mitglieder durchzureichen. Damit können ganze oder Teile der Regelwerke in die Ordnung der Mitgliederverbände integriert werden (Haas/Martens, S. 67 f.). Im SVPS ist dieses «Durchreichen» in Art. 3.2 lit. d, Art. 10.1 Abs. 2 und Art. 10.4 Statuten verankert. Die Umsetzung bei den Mitgliedern erfolgt teils ausdrücklich, teils gar nicht. Ausdrücklich verankert ist die Pflicht zur Beachtung der Reglemente des SVPS beispielsweise in Art. 7 der Statuten des Pferdesportverband Nordwest (PNW), der die Verbindlichkeit der Reglemente des SVPS für die Mitglieder des PNW ausdrücklich erwähnt. Um ein lückenloses Durchreichen und damit auch Bindung an die Regularien des nationalen Verbandes bis hinunter zu den Reitsportler*innen sicherzustellen, müsste auf allen Stufen – auch derjenigen der Vereine an der Basis – eine entsprechende Bestimmung in den Statuten vorgesehen sein (Schlosser, S. 164 f.). Dadurch entsteht resp. entstünde nicht nur die Bindung der Reiter*innen an die Regularien des Dachverbandes, sondern auch eine indirekte Mitgliedschaft, die zu weitreichenden Kompetenzen führt, wie z.B. zum Recht, eine Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB gegen Vereins- resp. Verbandsbeschlüsse zu erheben. Die indirekte Mitgliedschaft im nationalen Verband sichert aber zugleich auch die Unterstellung unter dessen Sanktionsgewalt. Satzungsketten sind nicht unumstritten – gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung aber grundsätzlich zulässig (Urteil Bundesgericht 4A_640/2010 vom 18.04.2011 E. 3.3.3; 4A_548/2009 vom 20.01.2010; 4A_460/2008 vom 09.01.2009 E. 6.2).

[13]

Die Bindung der aktiven Sportler*innen an der Basis erfolgt im Reitsport (teilweise) auch durch Regelanerkennungsvertrag in Form von Lizenzvertrag oder Teilnahmevertrag (vgl. dazu auch Adolphsen, S. 86; Fenners, S. 44, 48; Schlosser, S. 76 f.). Auf diese Weise können Pferdesportler*innen (die, wie oben ausgeführt, keine direkten Mitglieder des nationalen Verbandes sein können), den Regeln des SVPS und dessen Disziplinargewalt ebenfalls unterstellt werden. Das Generalreglement des SVPS sieht in Art. 1.2 zwar vor, dass jede Person oder Gruppe von Personen, jeder Verein oder Verband, die/der einen pferdesportlichen Anlass (in den dem Generalreglement unterstellten Disziplinen wie z.B. Springreiten) durchführt oder daran teilnimmt, dem Generalreglement sowie den technischen Reglementen und/oder Weisungen unterstellt sei und die Zuständigkeit der Verbandsgerichtsbarkeit anerkenne. Da es sich beim Regelanerkennungsvertrag (oder Teilnahmevertrag) aber – wie es der Name schon vermuten lässt – um einen Vertrag handelt (Innominatkontrakt), bedarf es eines Akzeptes der Wettkampfteilnehmenden (Baddeley, S. 362 ff.; Fenners, S. 52 m.w.H.; Hausheer/Aebi-Müller, S. 341; BK ZGB-Riemer, Art. 70 N 143). Während früher noch ein Akzept konkludent mit der Einzahlung der Lizenzgebühr stattfand (so stand auf den jährlich versandten Rechnungen des SVPS für die Erneuerung der Lizenz, die vor dem ersten Wettkampfstart zu zahlen war: «Der Träger dieses Ausweises anerkennt vorbehaltslos die Statuten, Reglemente, Weisungen sowie die Rechtsordnung des SVPS») ist heute weder auf der Rechnung noch auf der Online-Plattform, über welche die Zahlung der Lizenzgebühr abgewickelt werden kann, ein Hinweis sichtbar. Die gültige Bindungswirkung über die Lizenz muss daher offen gelassen werden.

[14]

Seit dem 1. Januar 2017 hat der Verband die Vereinspflicht für Wettkampfteilnehmende eingeführt (Art. 7.1 Abs. 3 Generalreglement). Durch die Einbindung in den Verein kann (wenn auch teilweise nur implizit) eine indirekte Bindung der Reitsportteilnehmenden über die Satzungskette (vgl. vorstehend Rz. 12) erfolgen. Dies bedingt aber, dass der Verein selbst seinen direkten Mitgliedern die Beachtung der Vorschriften des SVPS als Mitgliederpflicht überbindet.

[15]

Die Bindung an die Regularien des Dachverbandes (ausserhalb von Satzungsketten oder Lizenzvertrag), kann zudem über einen Turnierteilnahmevertrag (im Pferdesport durch die «Nennung» an ein Turnier) erfolgen. Auch diese Variante ist im Reitsport anzutreffen. So hielt die Ausschreibung zum Longines CSI Ascona 2023 ausdrücklich fest: «Es gelten die Reglemente SVPS». Wer sich auf eine solche Ausschreibung hin, welche ausdrücklich auf die Anwendbarkeit der Regularien des SVPS verweist, zur Teilnahme an die Pferdesportprüfung anmeldet und das Nenngeld einzahlt, geht den Teilnahmevertrag ein und akzeptiert so dessen Bedingungen.

C. Rechtsmittelwege innerhalb des Reitsports

1. Streitigkeiten zwischen Verband und Regelunterworfenen

[16]

Gemäss Statuten des SVPS wird die Verbandsgerichtsbarkeit durch die Jury von Wettkämpfen, die Sako und das Verbandsgericht ausgeübt (Art. 10.2 Statuten). Im Bereich des Humandopings und der Ethikverstösse gelten die Zuständigkeiten gemäss Doping- resp. Ethik-Statut von Swiss Olympic (Art. 10.4 Abs. 1, Art. 12 Statuten; Art. 1.15 Generalreglement; Ethik-Codex des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport).

[17]

Die Kompetenzen der Jury richten sich nach dem Generalreglement und den technischen Reglementen der Disziplinen (so z.B. dem Springreglement oder dem Dressurreglement). So entscheidet die Jury beispielsweise in Streitfällen und in Fragen im Zusammenhang mit der Pferdesportprüfung, die sofort entschieden werden müssen und nicht in die Kompetenz des Organisationskomitees fallen (Art. 2.4 lit. b und lit. d Generalreglement). Die Jury ist somit für die Ahndung von Verstössen gegen Statuten, Reglemente und/oder Weisungen sowie Vorschriften des SVPS zuständig, welche ihr anlässlich einer Veranstaltung zur Kenntnis gebracht werden (Anhang I Art. 11.1 Abs. 1 Generalreglement) und hat Massnahmen im Rahmen von Anhang I Art. 11.2 Generalreglement zu treffen. Ist sie nicht zuständig, leitet sie die Anzeige an die Sako weiter. Der Massnahmekatalog der Jury reicht von der Verwarnung über die Disqualifikation/den Ausschluss und den Platzverweis (Anhang I Art. 11.2 Generalreglement) bis hin zu Bussen (im Bereich Springen s. Art. 3.7 Springreglement). Grundsätzlich kann gegen einen Entscheid der Jury nach Anhang II Art. 12.1 lit. b Generalreglement Protest erhoben werden, dessen Behandlung wiederum mit Rekurs nach Rechtspflegereglement angefochten werden kann (Anhang II Art. 12.7 Generalreglement). Gewisse Entscheide (Disqualifikation im Zusammenhang mit einer Blutung am Pferd) sind jedoch verbandsintern endgültig (Anhang III Art. 13 Generalreglement).

[18]

Im direkten Zusammenhang mit der Teilnahme an Reitsportveranstaltungen stehen Verstösse gegen die Vorschriften zur Startberechtigung (Start ohne gültige Lizenz, Missachtung der Gewinnpunktebeschränkung, etc.). In diesen Fällen kann die Geschäftsstelle des SVPS stellvertretend für die Sako eine Disqualifikation aussprechen (§ 12 Rechtspflegereglement). Gegen Entscheide der Jury oder der Geschäftsstelle SVPS (nach § 12 Rechtspflegereglement) kann innert 20 Tagen Rekurs bei der Sako eingeleitet werden (§ 18 Abs. 2 Rechtspflegereglement). Davon ausgenommen sind Juryentscheide betreffend technische Proteste (§ 18 Abs. 1 Rechtspflegereglement).

[19]

Die Sako ist – wie es der Name schon vermuten lässt – für die Sanktionierung von Regelverstössen zuständig (Anhang I, Art. 11.1 Generalreglement). Der ihr zur Verfügung stehende Massnahmekatalog reicht von der Verwarnung bis hin zur zeitlich unbeschränkten Sperre (jeweils mit oder ohne Veröffentlichung im Publikationsorgan des Verbandes, siehe Anhang I, Art. 11.3 Generalreglement). Zudem kann die Sako Sanktionen aussprechen gegen Personen, die der Verbandsgerichtsbarkeit unterstehen, wenn sie strafrechtlich wegen eines Deliktes verurteilt worden sind, das im Zusammenhang mit dem Pferdesport steht oder dem Ansehen des Sports oder dem Verband schadet. Gemäss Anhang I Art. 11.3 lit. h gilt dies insbesondere für Delikte gegen Leib und Leben, Sexualdelikte oder Delikte im Bereich des Tier- und Umweltschutzes. Diese Bestimmung weist gewisse Überschneidungen mit dem Ethik-Statut von Swiss Olympic und der daraus resultierenden Zuständigkeit von Swiss Sport Integrity und der Disziplinarkammer des Schweizer Sports bei Ethikverstössen auf (vgl. dazu nachstehend Rz. 26).

[20]

Die Sako ist zudem für den Erlass vereinsinterner vorsorglicher Massnahmen zuständig: Aufgrund eines schriftlich begründeten Antrages von Mitgliedern eines Leitungsteams, einer Kommission oder einer Jury, kann sie eine bis vier Wochen dauernde, sofortige Startsperre gegen Personen oder Pferde verfügen (Anhang I Art. 11.3 Abs. 2 Generalreglement). Zudem kann sie auf schriftlich begründeten Antrag des Vorstandes hin Regelunterworfene bereits vor der rechtkräftigen Verurteilung vorläufig sperren oder suspendieren, wenn dies im Lichte des Ansehens des Pferdesportes resp. des Verbandes nötig erscheint (Anhang I, Art. 11.3 Abs. 2 Generalreglement).

[21]

Entscheide der Sako können mit vereinsinterner Beschwerde innert 20 Tagen an das Verbandsgericht weitergezogen werden (§ 17 Abs. 1 und § 22 lit. b Rechtspflegereglement).

[22]

Ausserhalb der Verbandsgerichtsorgane sind die Entscheide der Selektionskommission anzufechten. Diese entscheidet über die Nomination von Kader und die Selektion von Mannschaften und/oder Einzelteilnehmern für Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und Olympische Spiele (Art. 1 SELKO-Reglement). Ihre Entscheide sind unter Einhaltung einer 2-tägigen Frist (!) mit Einsprache an den Vorstand anfechtbar (Art. 4.2 SELKO-Reglement).

2. Streitigkeiten zwischen Regelunterworfenen

[23]

Streitigkeiten zwischen Parteien, die der Verbandsgerichtsbarkeit unterstehen, werden vom Verbandsgericht als «Schiedsinstanz» beurteilt (§ 22 lit. a Rechtspflegereglement). Dabei kann das Verbandsgericht nicht als echtes Schiedsgericht die Streitigkeit entscheiden, da eine strukturelle Abhängigkeit des Verbandsgerichts als Organ des Verbands besteht, das einer Qualifizierung als echtes Schiedsgericht abträglich ist und die Parteien keinen Einfluss auf die Zusammenstellung des Spruchkörpers haben (BGE 148 III 427 E. 5.9.3, Adolphsen, S. 501 ff.; Burgherr, Rz. 451 f.; Fenners, S. 167; Girsberger/Voser, Rz. 1896 ff.; Walter, S. 1058).

3. Zuständigkeit im Bereich Anti-Doping

a. Pferdedoping
[24]

Im Bereich des Pferdedopings sieht das Generalreglement in Art. 6.4 vor, dass alle Pferde, die an Pferdesportveranstaltungen teilnehmen, nicht unter Einfluss von Substanzen gemäss der gültigen FEI Equine Prohibited Substances List stehen dürfen. Die Sako ist für die Disqualifikation eines Pferdes zuständig, das an einer Veranstaltung unter Einfluss einer Substanz gemäss der FEI Equine Prohibited List gestanden ist (in allen Prüfungen der entsprechenden Veranstaltung) sowie für die Sperre des Pferdes bei positivem Dopingbefund für alle Veranstaltungen im In- und Ausland (§ 13 lit. a Rechtspflegereglement; Anhang I Art. 11.3 lit. f und g Generalreglement).

b. Humandoping
[25]

Der SVPS hat seine Sanktionsgewalt im Bericht des Humandopings ausgelagert und verweist in Art. 7.7 Generalreglement und Art. 10.4 Abs. 1 Statuten auf das Dopingstatut von Swiss Olympic und dessen Ausführungsbestimmungen. Diese sehen die Zuständigkeit von Swiss Sport Integrity als Nationale Anti-Doping-Organisation und der Disziplinarkammer des Schweizer Sports vor (vgl. Steiner)

D. Zuständigkeit im Bereich der Ethikverstösse

[26]

Die Ahndung der Ethik-Verstösse innerhalb des Sports fiel bis 2021 in die Kompetenz der einzelnen Verbände. Die Swiss Olympic unterstehenden Verbände haben anlässlich der 25. Versammlung des Sportparlaments vom 26. November 2021 einstimmig das Ethik-Statut von Swiss Olympic genehmigt, das seit dem 1. Januar 2022 in Kraft ist und die Zuständigkeit zur Ahndung von Verstössen Swiss Sport Integrity und der Disziplinarkammer des Schweizer Sports von Swiss Olympic überträgt (ausführlich dazu: Haas/Strub, S. 147 f.; Netzle, S. 233 ff.). So hält Art. 8.4 des Ethik-Statut fest: «Das vorliegende Statut ersetzt ab 1. Januar 2022 reglementarische Bestimmungen der Mitgliedsverbände von Swiss Olympic im Bereich Ethik, sofern jene Bestimmungen Vorschriften zum Inhalt haben, die mit diesem Statut geregelt werden. Vorbehalten bleiben weiterhin die Anwendung reglementarischer Bestimmungen der Mitgliedsverbände auf Sachverhalte, die sich vor dem 1. Januar 2022 ereignet haben.» Die Anwendbarkeit des Ethik-Statut von Swiss Olympic ist in den Regularien des SVPS an unterschiedlichen Stellen und gegenüber unterschiedlichen Adressaten verankert: in Art. 12 der Statuten (gegenüber den Mitgliedern), in Art. 1.15 Generalreglement (Gegenüber allen dem Reglement unterstehenden Personen) und im Ethik-Codex des SVPS (an alle Personen gerichtet, die dem SVPS und seinen Mitgliederverbänden angeschlossen sind). Soweit Ethik-Verstösse, die sich nach dem 1. Januar 2022 ereignet haben, in den Anwendungsbereich des Ethik-Statut fallen, ist die Zuständigkeit des SVPS und seiner Organe nicht mehr gegeben.

E. Zuständigkeit bei Tierschutzverstössen

[27]

Das Tierschutzgesetz (TschG) und die Tierschutzverordnung (TschV) regeln den Umgang mit Tieren. Das TschG sieht in Art. 26 ff. Strafbestimmungen vor (weiterführend zur Tierquälerei im Pferdesport, s. Brunner, u.a. in Rz. 60 ff.). Insbesondere für den Reitsport sind nicht nur die Tatbestände zur Misshandlung von Tieren relevant, sondern auch die Bestimmungen über die Tierhaltung und Beförderung. Die Kantone erlassen die Vorschriften zum Vollzug der Tierschutzvorschriften. Sie sind für die Verfolgung und die Beurteilung strafbarer Handlungen nach TschG zuständig (Art. 31 TschG). Als Offizialdelikt müssen strafrechtlich relevante Verstösse gegen die Tierschutzbestimmungen grundsätzlich von Amtes wegen verfolgt werden. Strafanzeigen können bei der Polizei oder bei der Strafuntersuchungsbehörde des jeweiligen Ortes resp. dem Veterinäramt eingereicht werden. Das Veterinäramt/der Veterinärdienst (die Begriffe variieren je nach Kanton) ist insbesondere bei Verstössen im Bereich der Tierhaltung oder Zucht zuständig (s. beispielsweise Bern: Meldestelle Tierschutzfall; Genf: Meldestelle Tierschutzfall; Zürich: Meldestelle und Vorgehen).

[28]

Darüber hinaus besteht auch innerhalb des organisierten Reitsports eine Zuständigkeit bei tierschutzrelevanten Verstössen. Alle Offiziellen und im Auftrag des SVPS handelnden Personen sowie Athlet*innen sind verpflichtet, bei tierschutzrelevanten Verstössen, die sie an einer pferdesportlichen Veranstaltung (insbesondere Turnier und Training) beobachten, die Verursacher anzusprechen und den Vorfall der Jury zu melden (Art. 1.14 Generalreglement). Im Rahmen der Verbandsgerichtsbarkeit ist die Sako erstinstanzlich bei Misshandlungen von Pferden zuständig. Gemäss Anhang I Art. 11.3 lit. h Generalreglement kann sie nach rechtskräftiger Verurteilung im Bereich von Tierschutzdelikten Verbandssanktionen gegen Personen aussprechen, die den Regelwerken des SVPS unterstehen. Der Entscheid der Sako kann innert 20 Tagen an das Verbandsgericht weitergezogen werden (vgl. vorstehend Rz. 21). Die Sako kann zudem auf Antrag des Vorstandes Personen bereits vor einer rechtskräftigen Verurteilung sperren oder suspendieren, wenn das Ansehen des Pferdesportes resp. des Verbandes dies erfordern (Anhang I Art. 11.3 Abs. 2 Generalreglement).

F. Gerichtliche Überprüfung des Verbandsentscheides

[29]

Ein Verbandsentscheid kann aus verschiedenen Gründen und mit verschiedenen Klagen angefochten werden (z.B. gestützt auf Art. 27 ff. ZGB bei Verletzung der Persönlichkeit). Im Vordergrund steht aber die vereinsrechtliche Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB.

[30]

Direkte und indirekte Mitglieder (d.h. solche, die durch Satzungsketten oder vertraglich an die Verbandsregeln gebunden sind) geniessen – quasi als Gegenstück zu ihrer Verpflichtung, sich an die Regeln zu halten – auch Rechte. Eines davon ist das Schutzrecht, das dazu führt, dass sie einen Beschluss eines Vereinsorgans nach Art. 75 ZGB anfechten können, wenn dieser gegen Gesetz oder Statuten (und die gestützt darauf erlassenen Reglemente) verstösst (BK ZGB-Riemer, Art. 75 N 4; Riemer, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, Rz. 1). Dabei ist es unerheblich, welches Vereinsorgan den Beschluss gefasst hat – weshalb auch Entscheide von Vereinsgerichten mit Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB anfechtbar sind (Burgherr, Rz. 219 f., 286; Fuchs, S. 125; Heini/Portmann, Rz. 278, Heini/Portmann/Seemann, Rz. 233, 241; BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 75 N 3 und 5). Die Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB ist eine Gestaltungsklage. D.h. bei erfolgreicher Klage wird der Vereinsbeschluss mit erga omnes-Wirkung für alle (nicht nur für die klagende Partei) aufgehoben (BGE 136 III 345 E. 2.2.2; Del Fabro, S. 1150; BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 75 N 31; CHK ZGB-Niggli, Art. 75 N 19; BK ZGB-Riemer, Art. 75 N 81; Riemer, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, Rz. 1). Ebenso steht die Möglichkeit offen, die Nichtigkeit des Beschlusses mit Feststellungsklage geltend zu machen, wenn der Beschluss auf qualifizierte Weise gegen Gesetz oder Statuten verstösst. Dies ist dann etwa gegeben, wenn ein unzuständiges Organ einen Beschluss gefällt (BGE 137 III 460 E. 3.3.2 [allerdings die AG betreffend]; Urteil Bundesgericht 5A_205/2013 vom 16. August 2013 m.H.a. Urteil Bundesgericht 5A.37/2004 vom 1. Juni 2005 E. 4.1; Urteil Bundesgericht 5A.7/2002 vom 20. August 2002 E. 2.4; ebenso Del Fabro, S. 1155 f.; Fuchs, 157; BSK ZGB I- Scherrer/Brägger, Art. 75 N 36; BK ZGB-Riemer, Art. 75 N 95 ff.) hat oder der Beschluss gegen den Schutz der Persönlichkeit oder das Wettbewerbsrecht verstösst (vgl. BGE 136 III 345 E. 2.2.2; Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich ZR 104/2005 Nr. 27 vom 21. Juni 2004 E. 3; Del Fabro, S. 1156; Haas/Köppel, Rz. 14; BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 75 N 37; CHK ZGB-Niggli, Art. 75 N 13; BK ZGB-Riemer, Art. 75 N 119; Sprecher, 170 f.).

[31]

Beschlüsse des SVPS sind somit grundsätzlich mit Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB anfechtbar. Vorausgesetzt wird jedoch, dass der Beschluss vereinsintern nicht mehr weiterziehbar ist (zum Erfordernis der Letztinstanzlichkeit, vgl. BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 75 N 7; CHK ZGB-Niggli, Art. 75 N 7). Erstinstanzliche Entscheide der Sako sind daher nicht mit Anfechtungsklage anfechtbar, sondern müssen zunächst innert 20 Tagen mit Beschwerde an das Verbandsgericht weitergezogen werden. Rekursentscheide der Sako hingegen und die Entscheide des Verbandsgerichts (§ 21 und § 25 Abs. 3 Rechtspflegereglement) ergehen vereinsintern letztinstanzlich und sind mit Anfechtungsklage nach Art. 75 ZGB bei den ordentlichen Gerichten anfechtbar.

[32]

Der SVPS sieht im Rechtspflegereglement keine Schiedsklausel zugunsten des CAS vor. Die Anfechtungsklage ist somit innert 30 Tagen mit Klage an die ordentlichen Zivilgerichte am Sitz des Vereins zu erheben (Art. 10 Abs. 1 lit. b ZPO). Die Frist ist gewahrt, wenn das Schlichtungsgesuch nach Art. 202 ZPO rechtzeitig eingereicht wurde (BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 75 N 26a). Zur Anfechtungsklage aktivlegitimiert sind zunächst alle direkten und indirekten Mitglieder des SVPS und alle Akteure des Reitsports, die sich vertraglich den Statuten und Reglementen des SVPS unterstellt haben (BGE 119 II 271 E. 3b; Del Fabro, S. 1144; Heini/Portmann, Rz. 283; BSK ZGB I-Scherrer/Brägger, Art. 75 N 16).

[33]

In denjenigen Bereichen, in denen der SVPS die Vereinsgerichtbarkeit ausgelagert hat (Humandoping sowie Verletzungen des Ethik-Statut) entscheidet die Disziplinarkammer des Schweizer Sports von Swiss Olympic (Art. 25 Reglement betreffend das Verfahren vor der Disziplinarkammer des Schweizer Sports; Art. 13.1 lit. a Doping-Statut; Art. 5.8 Ethik-Statut). Deren Entscheide sind mit Beschwerde ans CAS anfechtbar (Art. 13.1 b Doping-Statut und Art. 5.8 Ethik-Statut).

III. Wettkampfregelungen

A. Übersicht

[34]

Der SVPS beheimatet die Disziplinen Dressur, Springen, Concours Complet, Fahren, Endurance, Voltige, Para-Dressur, Vierkampf, wovon Dressur, Springen und Concours Complet olympische Disziplinen sind. Daneben gibt es weitere reitsportliche Disziplinen, in denen gewisse Vorgaben des SVPS beachtet werden müssen. So sind beispielsweise Pferde im TREC-Orientierungsreiten (Techniques de Randonnée Equestre de Compétition) im Pferderegister des SVPS einzutragen. Alle Disziplinen des SVPS unterstehen gleichermassen dem Ethik-Codex und dem Generalreglement des SVPS, den Bestimmungen für Human- und Pferdedoping aber auch weiteren Regelungen, wie z.B. den Bestimmungen über die Werbung auf Athleten und Pferden sowie Reklame. Darüber hinaus besteht jeweils ein disziplinspezifisches Reglement (z.B. das Springreglement oder das Dressurreglement). Je nach Disziplin sind sodann weitere Wettbewerbsregeln relevant, wie z.B. die Dressurprogramme in der Dressur, welche die zu erfüllende Wettkampfaufgabe detailliert vorgeben, Stewarding-Handbücher oder Reglemente, welche gewisse spezifische Veranstaltungen wie z.B. die Schweizermeisterschaft regeln (z.B. die Reglemente Schweizermeisterschaft in der jeweiligen Disziplin). Der SVPS listet die für die jeweilige Disziplin relevanten Dokumente listenartig auf seiner Webseite auf.

B. Teilnahmevoraussetzungen

[35]

Um an offiziellen Wettkämpfen teilnehmen zu können, müssen Reiter*innen sowie Pferd gewisse Voraussetzungen erfüllen:

  • Reiter*innen müssen Inhaber eines gültigen Brevets (für die unterste Wettkampfstufe) oder einer gültigen Lizenz (die in der entsprechenden Kategorie nach erfolgreicher abgelegter Prüfung oder errittener Resultate erworben werden kann) sein, deren Gebühr jährlich neu und vor dem ersten Start im Jahr bezahlt werden muss (Art. 7.1 Abs. 1 Generalreglement). Zudem besteht für Startende eine Vereinspflicht, d.h. sie müssen entweder direkt einem Vollmitglied des SVPS angeschlossen sein (z.B. dem Verband Schweizerischer Concoursreiter) oder einem Verein, das einem Vollmitglied des SVPS angeschlossen ist (Art. 7.1 Abs. 3 Generalreglement). Die beim SVPS gemeldete Mitgliedschaft der Wettkampfteilnehmenden wird von den Vereinen kontrolliert.

  • Das zum Wettkampf gemeldete Pferd muss im Sportpferderegister eingetragen und der jährliche Betrag für den Registereintrag muss vor dem ersten Wettkampf bezahlt worden sein (Art. 6.2 Abs 1 Generalreglement). Das Pferd hat darüber hinaus korrekt geimpft (Art. 6.3 Generalreglement) und frei von verbotenen Substanzen zu sein (Art. 6.4 Abs. 1 Generalreglement).

C. Meldungen und Konsequenzen von Regelverstössen

[36]

Regelverstösse anlässlich einer Reitsportveranstaltung können der Jury gemeldet werden, welcher ein umfangreicher Massnahmekatalog zur Verfügung steht (vgl. vorstehend Rz. 17). Bei gewissen Verstössen besteht für die Jury die Pflicht, die verantwortliche Person von der Veranstaltung oder einer Prüfung auszuschliessen (vgl. Katalog in Anhang I Art. 11.2 Abs. 3 und 4 sowie gemäss Anhang III Generalreglement).

[37]

Verstösse gegen die Statuten und Regularien des SVPS, die nicht in den Kompetenzbereich anderer Stellen (wie der Jury) fallen, werden von der Sako geahndet (§ 13 lit. a Rechtspflegereglement; Anhang I Art. 11.1 Abs. 1 Generalreglement). Der Kreis der Personen, die Regelverstösse melden dürfen, ist im Reitsport weit gezogen. So ist gemäss § 14 Rechtspflegereglement jede Person berechtigt, bei der Sako Anzeige zu erstatten. Eine Meldepflicht hingegen haben die Mitglieder des Vorstandes und der Leitungsteams der Disziplinen, der/die Generalsekretär*in sowie anlässlich der Veranstaltungen die Offiziellen des SVPS, wenn sie einen Verstoss wahrnehmen oder von einem Verstoss Kenntnis erhalten. Zudem sind alle den Statuten des SVPS direkt oder indirekt unterstellten Personen unter Verbandsstrafandrohung verpflichtet, die Organe der Verbandsgerichtsbarkeit bei der Feststellung des Sachverhaltes zu unterstützen (§ 7 Abs. 1 Rechtspflegereglement).

[38]

Die Anzeige ist schriftlich an die Geschäftsstelle des SVPS zu richten, welche sie dem Präsidenten der Sako weiterleitet. Erfolgte der Verstoss anlässlich einer Pferdesportveranstaltung, so muss die Anzeige gemäss § 14 Rechtspflegereglement vor Ablauf eines Monats (vom Tag der Begehung an gerechnet) erfolgen. In den übrigen Fällen beträgt die Frist sechs Monate ab Bekanntwerden des Verstosses (relative Frist) respektive zwei Jahre nach der Begehung des Verstosses (absolute Frist). Die Sako leitet eine Untersuchung ein und gibt der angeschuldigten Person Gelegenheit zur Stellungnahme (zum Massnahmekatalog, vgl. vorstehend Rz. 19). Die Sako kann vorläufige Massnahmen erlassen (Anhang I Art. 11.3 Abs. 2 Generalreglement). Stellvertretend für die Sako kann auch die Geschäftsstelle des SVPS eine Disqualifikation aussprechen, wenn Konkurrent*innen oder Pferde trotz fehlender Startberechtigung an einer Prüfung teilgenommen haben (z.B. Start unter Missachtung der Gewinnpunkteregelungen, Start ohne Lizenz, vgl. § 12 Abs. 1 Rechtspflegereglement).

[39]

Die erstinstanzlichen verbandsinternen Entscheide können innert 20 Tagen mit Rekurs an das Verbandsgericht weitergezogen werden (§ 17 Rechtspflegereglement). Zur Beschwerde legitimiert sind die am Verfahren beteiligten Personen. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 10 Rechtspflegereglement).

D. Antidopingkontrollen

[40]

Im Bereich des Humandopings fällt die Strukturierung, Organisierung und Bestimmung der Art der Dopingkontrolle in die Kompetenz von Swiss Sport Integrity. Umsetzung und Ablauf der Antidopingkontrollen im Bereich des Humandopings richten sich nach den Ausführungsbestimmungen zu Dopingkontrollen und Ermittlungen. Wer denkt, Humandopingkontrollen sei im Pferdesport inexistent, täuscht sich. So wurde jüngst ein Vielseitigkeitsreiter (auf internationalem Niveau) aufgrund des Nachweises einer «specified stimulant» in der Urinprobe vom internationalen Reitsportverband FEI für zwei Monate gesperrt und hatte eine Busse von CHF 3'000 sowie die Verfahrenskosten zu bezahlen (FEI Tribunal Decision vom 20.12.2022). Der Reiter, der aus gesundheitlichen Gründen auf ein dopingrelevantes Medikament angewiesen war, hatte es versäumt, seine Ausnahmebewilligung zu therapeutischen Zwecken zu erneuern (sog. therapeutic use exemption).

[41]

Dopingkontrollen bei Pferden erfolgen meistens beim Sieger (v.a. bei Meisterschaften) und nach Zufallsprinzip bei weiteren Pferden. Das Kontrollverfahren richtet sich nach Art. 5.3.2 ff. Veterinärreglement. Diese erfolgt unter der Leitung des Kontrollveterinärs/der Kontrollveterinärin. Die Blut- oder Urinprobe wird anschliessend ins Labor geschickt (Art. 5.3.3 f. Veterinärreglement). Bei einer positiven Dopingprobe oder wenn die verantwortliche Person die Kontrolle vereitelt, leitet die Sako die nötigen Massnahmen ein (vgl. Anhang I Art. 11.1 Abs. 2 lit. d, m und o Generalreglement i.V.m. § 13 Rechtspflegereglement). Die Resultate der Dopingkontrollen (egal ob positiv oder negativ) werden im Publikationsorgan des SVPS publiziert (Art. 5.3.4 Abs. 3 Veterinärreglement).

[42]

Im Bereich des Pferdedopings und der Kontrollen ist die Unterscheidung zwischen Medikamentation und Doping wichtig. Der SVPS hat die FEI Doping- und Medikamentationslisten sowie das gesamte FEI Medikamentationsreglement übernommen (Anhang II Veterinärreglement mit Hinweis auf die Equine Anti-Doping and Controlled Medication Regulations und die Listen der Banned Substances und der Controlled Medication Substances). Als «Banned Substances» (auch «Doping» genannt) gelten Substanzen, die gezielt für eine Leistungsbeeinflussung eingesetzt wurden. Bei «Controlled Medication» handelt es sich um Substanzen, welche für die Behandlung von Krankheiten und Verletzungen eingesetzt werden. Während erstere immer verboten sind, können letztere eingesetzt werden – allerdings unter Einhaltung einer gewissen Absetzfrist. Dennoch ist es möglich, dass minimale Rückstände nachweisbar sind. Es besteht die Möglichkeit, bis 30 Minuten vor Prüfungsbeginn eine Medikamentationserklärung abzugeben, die solche Rückstände erklären kann und in die Beurteilung eines gegebenenfalls positiven Dopingresultats einfliesst (Art. 5.1.3 Veterinärreglement). Die Medikamentationserklärung schliesst eine Sanktion aber nicht per se aus.

[43]

Als besonders heikel hat sich die Futtermittelkontamination herausgestellt. So ist die Kontaminierung von Pferdefutter (wie z.B. Rückstände von Mohnsamen) von blossem Auge nicht erkennbar. Entsprechend ist es für die verantwortlichen Personen schwierig bis unmöglich, ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen und sicherzustellen, dass keine problematischen Substanzen in den Organismus des Pferdes gelangen. Für diese Fälle gelten besondere Bestimmungen (vgl. Art. 10.6.1.2 Equine Anti-Doping and Controlled Medication Regulations; Entscheid der FEI im Zusammenhang mit Futtermittelkontamination – in Anwendung der damals geltenden Version der Equine Anti-Doping and Controlled Medication Regulations bei Schweizer Teilnehmenden: vgl. Decision of the FEI Tribunal, Case 2015-BS02 und BS03 vom 18. September 2015 und Case 2015-BS04 vom 25. September 2015 und Decision of the FEI Tribunal, Case 2017-BS32 vom 24. Februar 2020). Beim letztgenannten Fall konnte sich die Sportlerin erfolgreich mit der Begründung entlasten, die positive Dopingprobe sei darauf zurückzuführen, dass einer ihrer Mitarbeiter das Heu verunreinig habe, vgl. kritisch dazu Strub, S. 481 f.). Kann die verantwortliche Person beides nachweisen, dass sie kein erhebliches Verschulden trifft und dass die Substanz durch Kontaminierung in das Pferd gelangte, so wird die Massnahme je nach Verschulden der betreffenden Person im Minimum bei einer Verwarnung, im Maximum bei einer Sperre von zwei Jahren festgesetzt (Art. 10.6.1.2 Equine Anti-Doping and Controlled Medication Regulations).

IV. Spezifische Fragestellungen

A. Haftungsfragen rund um den Pferdesport

1. Haftung des Tierhalters

[44]

Tier- und damit auch Pferdehalter*innen unterstehen einer Kausalhaftung für das Verhalten ihrer Tiere. So sieht Art. 56 OR vor: «Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre». Vorausgesetzt werden also die Haltereigenschaft, der Eintritt eines Schadens, der adäquat-kausal durch eine selbständige Aktion des Tieres (aus eigenem Antrieb) verursacht wurde.

[45]

Die Haftungsgrundlage setzt zunächst die Haltereigenschaft voraus. Tier- oder Pferdehalter ist nicht zwingend der/die Eigentümer*in des Pferdes. Der Halterbegriff wird vom Gesetz nicht definiert. Die Haltereigenschaft richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Zur Beurteilung relevant sind das tatsächliche Gewaltverhältnis über das Tier zum Zeitpunkt der Schädigung, die Verfügungsmöglichkeit sowie das Interesse am Tier (statt vieler: BSK OR I- Kessler, Art. 56 N 11 f.). Erheblich ist also, wer darüber entscheidet, wie das Pferd gehalten wird, wie es behandelt und verwendet wird. Der Aspekt des Interesses am Tier (m.a.W. wer vom Tier profitiert) – insbesondere bei vorübergehendem Gewahrsam am Pferd – wird teilweise in den Vordergrund gerückt (Begründung des Entscheids des Regionalgerichts Bern-Mittelland, CIV 16 6133 vom 9. Oktober 2019, Ziff. 34 m.w.H. auf die neuere Lehre). Somit kann auch Halter*in sein, wer ein Pferd regelmässig reitet und nur vorübergehend in Gewahrsam hat (also z. B. die regelmässige Reiterin des Pferdes, BGE 104 II 23). Auch Minderjährige können Tierhalter sein, wie das Bundesgericht im Falle einer 15-Jährigen entschied: Der Eigentümer hatte ihr das Pferd überlassen, damit sie es während der Sommerferien bei sich zu Hause unterbringen und reiten kann (Urteil Bundesgericht 4C.237/2001 vom 8. Oktober 2001 E. 2c). In der Lehre ist umstritten, ob der oder die Inhaber*in einer Tierpension (also z.B. eines Pensionsstalles) als Halter des Tieres gilt (gegen die Haltereigenschaft: BK OR-Brehm, Art. 56 N 16, m.E. richtigerweise für die Haltereigenschaft: Oftinger/Stark II/1 379 Fn. 137; Fellmann, S. 342; Krenger, S. 217).

[46]

Als Schaden gilt die ungewollte Verminderung des Reinvermögens (BGE 129 III 331 E. 2.1). Das Tier muss den Schaden aus eigenem Antrieb verursacht haben. D.h. der Schaden darf nicht dadurch entstanden sein, dass das Tier als willensloses Werkzeug verwendet wurde (BSK OR I-Kessler, Art. 56 N 8). Ebenso liegt kein eigener Antrieb vor, wenn der Schaden z.B. dadurch verursacht wird, dass das Tier auf dem Eis ausrutscht und abstürzt oder es ansteckende Krankheiten überträgt (Fischer/Böhme, Haftpflichtkommentar, Art. 56 N 19; Honsell/Isenring/Kessler, § 17 N 10 f., die die Haftung auch ausschliessen, wenn der Schaden auf einen Lenkfehler des Kutschers zurückzuführen ist; BSK OR I-Kessler, Art. 56 N 8 f.). Vielmehr muss sich die typische Tiergefahr verwirklicht haben, die sich beim Pferd regelmässig durch seinen Fluchtinstinkt äussert. Das Verhalten des Tieres muss zudem adäquat-kausal den Schaden verursacht haben. Die Adäquanz ist dann gegeben, wenn das Verhalten geeignet war, um nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung den eingetretenen Schaden zu bewirken (ausführlich dazu statt vieler, BK OR-Brehm, Art. 41 N 120 ff. m.H.a. BGE 101 II 69, BGE 102 II 232).

[47]

Da es sich um eine sog. milde Kausalhaftung handelt, kann der Tierhalter oder die Tierhalterin Gründe vorbringen, die ihn oder sie von der Haftung befreit. So kann der oder die Tierhalter*in den Nachweis erbringen, dass er oder sie alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres angewendet hat, wobei die Anforderungen an diesen Beweis sehr streng sind (Entlastung verneint: Urteil Bundesgericht 4A_25/2021 vom 24. August 2021, E. 2.1, da das einwandfreie Verhalten des Fuhrmannes nicht lückenlos bewiesen werden konnte; BGE 131 III 115 keine Entlastung aufgrund ungenügender Umzäunung der Pferdeweide; Entlastung bejaht, wo Dritte nachts das Weidetor geöffnet hatten und die Pferde sich mit Unfallfolge auf die Strasse begaben: Urteil Bundesgericht 4A_170/2009 vom 7. Juli 2009 E. 2.2). Der Nachweis der üblichen Sorgfalt genügt nicht (BGE 131 III 115 E. 2.1). In erster Linie richtet sich die gebotene Sorgfalt nach den geltenden gesetzlichen oder reglementarischen Sicherheits- und Unfallverhütungsvorschriften. Fehlen solche, ist zu prüfen, ob private Verbände allgemein anerkannte Vorschriften (wie z.B. die FIS-Regeln) erlassen haben. Sind auch solche nicht gegeben, ist die Sorgfalt in Würdigung der Gesamtheit der Umstände zu prüfen, was den Beizug von Sachverständigen erfordern kann (Urteil Bundesgericht 4A_25/2021 vom 24. August 2021 E. 2.1 ff.; BGE 131 III 115 E. 2.1). Die Sorgfalt bemisst sich nach der Gefahr, die von der Tierart ausgeht und nach der Gefährlichkeit des individuellen Tieres (weshalb Halter*innen von z.B. schlagenden Pferden eine entsprechend höhere Sorgfalt zu wahren haben, vgl. dazu auch Honsell/Isenring/Kessler, § 17 N 13). Mangelnde Sorgfalt ist beispielsweise gegeben bei Verwendung ungeeigneten Materials oder Werkzeugs, was insbesondere beim Reiten und Führen von Pferden ohne korrekte Zäumung relevant ist (BSK OR I-Kessler, Art. 56 N 16).

[48]

Der Halter oder die Halterin kann sich zudem entlasten und von der Haftung befreien, wenn er oder sie beweist, dass der Schaden trotz Beachtung aller Sorgfalt eingetreten ist (sog. Entlastungsbeweis, vgl. BSK OR I-Kessler, Art. 56 N 17), wobei auch dieser Beweis besonders strengen Anforderungen zu genügen hat.

[49]

Befand sich das Pferd im Strassenverkehr ist stets abzuklären, ob der Schaden aufgrund eines Verschuldens des Halters oder dessen Hilfspersonen entstanden ist oder aufgrund einer selbständigen Aktion des Tieres. Liegt der Grund im falschen Verhalten des Halters oder der Halterin im Strassenverkehr, ist Art. 41 OR einschlägig (s. Art. 41 OR; BK OR-Brehm, Art. 56 N 7a).

2. Haftung des Turnierveranstalters

[50]

In der Schweiz werden Reitturniere überwiegend von den Reitsportvereinen veranstaltet. Deshalb wird nachfolgend kurz auf ein paar ausgesuchte Aspekte der Haftbarkeit des Turnierveranstalters eingegangen.

[51]

Gegenüber Turnierveranstaltenden ist in Bezug auf die möglichen Haftungsgrundlagen zu unterscheiden, wer Ansprüche geltend macht. Gegenüber den Turnierteilnehmer*innen sind zunächst die Grundlagen des Vertragsrechts beachtlich. Wer ein Turnier veranstaltet, geht mit den Teilnehmenden einen Teilnahmevertrag ein (Art. 1 ff. OR). Aus diesem folgen diverse Pflichten, wie z.B. die Sicherungs- und Schutzpflichten, welche darauf abzielen, die Vertragspartner im Rahmen der Vertragserfüllung nicht zu schädigen (BSK OR I-Wiegand, Art. 97 N 33 f.; zu den Obhut- und Sorgfaltspflichten des Veranstalters, vgl. Arter/Gut, S. 33 f.).

[52]

Diese vertragliche Pflicht trifft die Veranstalter auch gegenüber Zuschauenden, welche für den Eintritt bezahlt haben (Arter/Gut, S. 77 ff.; Arter/Kleiner, S. 124). Wie weit diese Verkehrssicherungspflicht geht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. die Zumutbarkeit der Massnamen (auch aus wirtschaftlicher Sicht), die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts und die Schwere der drohenden Gefahr (Arter/Gut, S. 80).

[53]

Darüber hinaus haften Veranstalter*innen auch als Werkeigentümer nach Art. 58 OR, wenn ihre Anlage, die für die Durchführung der Veranstaltung genutzt wird, mangelhaft war. Dabei sind Reithallen, aber auch Reitplätze und sogar Reitwiesenplätze als Werk zu qualifizieren (vgl. Urteil Kassationsgericht Zürich, 11. Juni 1964, publiziert in SJZ 61/1965, S. 28 ff. und das Urteil des Bundesgerichts in dieser Sache vom 2. November 1971 i.S. Weinmann gegen Gilka, auf das BK OR-Brehm, Art. 58 N 75 hinweist). Das Werk muss so beschaffen sein, dass es bei bestimmungsgemässem Gebrauch eine sichere Nutzung ermöglicht (Arter/Gut, S. 39). Dabei sind aber auch die Selbstverantwortung der Nutzer und die Zumutbarkeit und Verhältnismässigkeit der Schutzmassnahmen beachtlich (BSK OR I-Kessler, Art. 58 N 15 a f.; Schnyder/Portmann/Müller-Chen, S. 119 f.). «Narrensicherheit» ist nicht erforderlich (Honsell/Isenring/Kessler, § 18 N 15 m.w.H.). Eine Haftung für den bestimmungswidrigen Gebrauch des Werkes ist nur dann gegeben, wenn der bestimmungswidrige Gebrauch für den/die Veranstalter*in voraussehbar war, resp. zu schweren Schädigungen führen kann und der Werkeigentümer keine zumutbaren Massnahmen dagegen getroffen hat (BGE 130 III 736 E.1.4).

[54]

Gegenüber Anwesenden an einer Sportveranstaltung, zu denen keine Vertragsbeziehungen besteht (beispielsweise bei kostenlosem Zugang zu Sportveranstaltungen), richtet sich die Haftung nach Art. 41 OR. Nach dieser Bestimmung hat derjenige Schadenersatz zu leisten, der einem andere widerrechtlich Schaden zufügt. Dabei reicht eine leichte Fahrlässigkeit. In der Regel wird der Schaden weniger auf eine Handlung als auf eine Unterlassung des Veranstalters oder der Veranstalterin zurückzuführen sein (Arter/Kleiner, S. 144). Eine Pflicht Vorkehrungen zu treffen, besteht dann, wenn eine Person einen gefährlichen Zustand schafft, was bei Sportveranstaltungen regelmässig der Fall sein dürfte (Arter/Kleiner, S. 145). Auch da hat die Sicherungspflicht Grenzen, die bei der Zumutbarkeit der Sicherungsmassnahmen für den Veranstalter liegen. So hat das OLG Oldenburg , 8 U 120/00 am 9. November 2000 (in Anwendung des deutschen Rechts) die Haftung des Veranstalters verneint: Ein 9-jähriges Mädchen hatte sich auf den Abreitplatz begeben, um auf der Anzeigetafel den Startzeitpunkt des Pferdes ihrer Tante zu sehen. Dabei wurde sie von einem auf dem Abreitplatz befindlichen Pferd geschlagen und schwer verletzt. Sie machte geltend, der Veranstalter habe die Anzeigetafel falsch positioniert und den Abreitplatz nicht genügend abgesperrt. Da der Abreitplatz umzäunt war und nur einen Durchgang für das Ein- oder Ausreiten vorhanden war, sei – so das OLG Oldenburg – der Veranstalter seinen Sicherungspflichten zur Genüge nachgekommen. Das Gericht hielt weiter fest: «Diese Schutzmaßnahmen können aber bei dem hier von dem Beklagten zu 1) veranstalteten ländlichen Reitturnier nicht überspannt und nicht mit dem Sicherheitsstandard bei großen, von Profisportlern besuchten und von größeren Sponsoren unterstützten Reitturnieren, bei denen durch umfangreiche Absperrmaßnahmen jeglicher Kontakt zwischen Zuschauern und Pferden vermieden wird, verglichen werden. (…) Zum anderen würde das Aufstellen von umfangreichen Absperrgittern und die Organisation eines Ordnerdienstes die ländlichen Reitvereine in finanzieller Sicht überfordern. Dies bedeutet zwar nicht, daß bei ländlichen Reitturnieren auf jegliche Sicherheitsmaßnahmen verzichtet werden kann. Diese Sicherheitsmaßnahmen sind aber im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren den nicht überspannten Sicherheitserwartungen der an dem ländlichen Reitturnier Beteiligten anzupassen» (Urteil des OLG Oldenburg 8 U 120/00 vom 9. November 2000 E. I). Dass die Erwartungen an die Verkehrssicherungspflichten nicht überspannt werden dürfen, bestätigte in einem neueren Urteil auch der deutsche Bundesgerichtshof (ebenfalls in Anwendung des deutschen Rechts). Ein dreijähriges Kind war unbeaufsichtigt in den Hänger eines Transporters gestiegen und vom Pferdehuf getroffen worden. Der Bundesgerichtshof sprach die Turnierveranstalterin sowohl als Veranstalterin als auch als Grundstückseigentümerin des Turniergeländes von jeglichen Ansprüchen frei, denn die Gefahr für das Kind sei durch die gebotene Beaufsichtigung des Kindes (durch die Eltern) neutralisiert worden. Die Sicherungserwartungen reduzieren sich – so der Bundesgerichtshof – wenn der Veranstalter eine entsprechende Beaufsichtigung eines Kleinkindes erwarten darf (Urteil Bundesgerichtshof VI ZR 210/18 vom 19. Januar 2021 Rz. 17).

3. Versicherungsrechtliche Aspekte

[55]

Wer Tierhalter*in ist, ist in der Regel über die Privathaftpflichtversicherung in der Eigenschaft als Tierhalter*in versichert (vgl. z.B. die AVB der Mobiliar, S. 16 Ziff. A2 3). Es geht dabei um die Deckung von Schäden, die das Pferd bei Dritten verursacht (die Haftung des Tierhalters vorstehend Rz. 44 ff.). Von der Deckung ausgenommen sind in aller Regel Ansprüche für Schäden, die bei der Teilnahme an reitsportlichen Veranstaltungen, wie z.B. an Springconcours oder an der Dressurprüfung, verursacht wurden. Wer mit dem Pferd auf ein Turnier fährt, sollte folglich unbedingt eine Zusatzversicherung abgeschlossen haben, die auch die Haftung bei der Teilnahme an einer Reitsportveranstaltung deckt. Dabei ist beim Versicherer sorgfältig und nachweisbar abzuklären, welche Reitsportveranstaltungen vom Ausschluss betroffen sind. Während Springreiten regelmässig namentlich erwähnt wird, stellt sich die Frage, ob die Teilnahme an einem Gymkhana beispielsweise ebenfalls vom Ausschluss erfasst wird.

[56]

Ebenso ist die Benützung/das Reiten fremder Pferde (inkl. Ausrüstung) nur über einen Zusatz zur Privathaftpflichtversicherung versichert. Deckung beseht im Schadensfall aber nur, wenn auch die Haftung des Reiters oder der Reiterin gegeben ist. Dafür ist ein Verschulden nötig. Auch wenn ein leichtes Verschulden ausreicht, bietet der Zusatz keine Garantie für Pferdeeigentümer*innen, dass der Versicherer des Reiters oder der Reiterin die Kosten übernimmt. Für die umfassende Deckung – also auch für den Fall, dass die Reitbeteiligung kein Verschulden trifft – ist eine Pferdekaskoversicherung (Tierversicherung) abzuschliessen. Wer mit fremden Pferden an Turnieren teilnimmt, sollte zudem abklären, ob die Zusatzversicherung für das Reiten fremder Pferde die Schäden am Pferd und Material auch bei Turnierteilnahme deckt. Generell ist darauf zu achten, dass der Wert des Pferdes (und des Materials) bekannt und die Versicherungssumme auch genügend hoch ist. Versicherungsrelevante Vorkommnisse sind unverzüglich zu melden. Verletzt der oder die Versicherte schuldhaft die Anzeigepflicht, entfällt die Leistungspflicht des Versicherers. Dabei genügt auch leichte Fahrlässigkeit (BSK VVG-Brunner, Art. 38 N 34). Die schuldhafte Verletzung wird hingegen verneint, wenn der oder die Versicherte beispielsweise durch Krankheit, Unmöglichkeit der Beweisführung oder Verhalten des Versicherers oder dessen Agenten an der Erfüllung seiner Anzeigepflicht gehindert wurde (Urteil Bundesgericht 4A_490/2019 vom 26. Mai 2020 E. 5.7.2).

B. Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Ein-Platz-Prinzip (zur marktbeherrschenden Stellung des Verbandes)

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Das Ein-Platz-Prinzip, das den Verbänden eine marktbeherrschende Stellung verleiht, ist auch im Reitsport nicht unangetastet geblieben. Die Veranstaltungsserie «Global Champions League» (GCL), die vom ehemaligen Springreiter, Veranstalter und Pferdegrosshändler Jan Tops ins Leben gerufen wurde, wollte der Weltreitverband FEI zunächst nicht anerkennen und den Teilnehmern drohten bei Teilnahme an dieser «wilden Veranstaltung» empfindliche Sperren. GCL und Tops Trading Belgium (TTB) wandten sich an die belgische Wettbewerbsbehörde, welche die Exklusivitätsklausel der FEI einstweilen im Rahmen einer vorsorglichen Massnahme suspendierte. Die FEI zog den Entscheid an den Cour d’appel Bruxelles weiter (Cour d’appel Bruxelles 2015/MR/1 du 28.4.2016). Während GCL und TTB geltend machten, die FEI schütze mit ihrer Monopolstellung ausschliesslich ihre kommerziellen Interessen, brachte die FEI vor, sie nehme gesamtsportliche Interessen wahr und sichere das Wohlergehen der Pferde und schütze die Integrität des Sports. Dafür müsse sie die Veranstaltungen und den Veranstaltungskalender entsprechend regulieren. Die Cour d'appel Bruxelles wies die Beschwerde der FEI ab und hielt fest, die Exklusivitätsklausel der FEI habe eine wettbewerbsverhindernde Natur. Die wettbewerbsrechtliche Situation wurde in der Folge nie restlos geklärt, da sich die FEI und GCL 2017 einigten und ein Memorandum of Understanding unterzeichneten, mit welchem die FEI die Wettbewerbserie GCL und deren Regeln anerkannte.