Die Reise zum Richteramt: Dr. Thierry Schnyder über seinen Arbeitsalltag, Karriere und den Einfluss der Politik

Er erzählt, wie er Kantonsrichter im Kanton Wallis wurde, welche Rolle die Politik heute in dieser Laufbahn spielt und gibt Tipps für Studierende, die sich für die Richterlaufbahn interessieren.


Themen: Richter, Gericht, Wallis, Politik, Universität Fribourg, Universität Bern, Karriere, FernUni Schweiz, Kantonsgericht Wallis.
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Guten Tag Herr Schnyder, könnten Sie bitte Ihren beruflichen Werdegang schildern und uns insbesondere erzählen, wie Sie zum Kantonsrichter wurden?

 

Im Prinzip habe ich einen klassischen Werdegang absolviert zum «Kantonsrichter», wie die oberinstanzlichen Richter im Wallis bezeichnet werden.

 

Nach meiner Matura in Naturwissenschaften am  Kollegium Spiritus Sanctus  studierte ich zunächst in  Fribourg  Jura und schloss 1999 ab. Ich kehrte danach in den Kanton Wallis zurück. Dort schloss ich nach den mehrjährigen Praktika die Anwalts- und danach die Notarsexamen ab. Es folgte eine Dissertation an der  Universität Bern , wobei ich dort nicht als Assistent tätig war, sondern teilweise parallel in der ersten und zweiten Gerichtsinstanz als Gerichtsschreiber und/oder Ersatzrichter amtete. Diese Engagements weckten mein Interesse an der Richtertätigkeit. Vorher hatte ich mir darüber keine Gedanken gemacht.

 

Das Kantonsgericht Wallis wählte mich 2008 zum Bezirksrichter in Visp und verschaffte mir 2015 die Möglichkeit, die Leitung dieses Gerichts zu übernehmen. Zwischenzeitlich hatte mich die kantonale Legislative, der Grosse Rat, zum Ersatzrichter ans  Kantonsgericht  gewählt. Letzteres machte es mir möglich, neben meiner Arbeit als Bezirksrichter auch in der zweiten Instanz weitere Erfahrungen zu sammeln. Ich erhielt ausserdem einen Lehrauftrag für Öffentliches Recht an der  FernUni Schweiz . 2017 wählte mich der Grosse Rat schliesslich zum ordentlichen Kantonsrichter. Seither bin ich dort in verschiedenen Abteilungen tätig.

 

Nach Ihrem Studium in Freiburg und Ihrem Doktorat in Bern hat es Sie schnell wieder ins Wallis gezogen. Sind es die Berge, der Wein, das Raclette oder doch etwas anderes, das Sie immer wieder ins Wallis zurückbringt?

 

Es sind nicht diese Klischees, sondern mein soziales Umfeld, welches mich an diese Region bindet.

Was mir jedoch derzeit am Richterberuf besonders gefällt, ist die Möglichkeit, ausgleichend zu wirken, Lösungen vorzuschlagen und Entscheide zu fällen. - Dr. Thierry Schnyder

Welche Motivation führte Sie dazu, Richter zu werden, anstatt eine Karriere als Anwalt oder Notar zu verfolgen?

 

Ich habe mich nicht abschliessend für den Richterberuf entschieden und könnte mir durchaus vorstellen, irgendwann einmal wieder an anderer Stelle tätig zu sein. Was mir jedoch derzeit am Richterberuf besonders gefällt, ist die Möglichkeit, ausgleichend zu wirken, Lösungen vorzuschlagen und Entscheide zu fällen. Am Kantonsgericht kommen zusätzlich organisatorische Aufgaben hinzu, was eine interessante Abwechslung bildet.

Schon gewusst?

Dr. Thierry Schnyder veröffentlicht neben seiner Tätigkeit als Richter und Dozent regelmässig Aufsätze und Bücher, darunter sein Werk 'Der Notar im Kanton Wallis'.

Zu den Publikationen

Sie wurden vom Parlament des Kantons Wallis zum Kantonsrichter gewählt. Inwiefern spielt die Politik eine Rolle in der Karriere eines Richters?

 

Diese Frage lässt sich nicht generell beantworten. Dazu ein paar Beispiele:

 

Es können z.B. je nach Region oder Ebene Gesetze vorliegen, welche bei Richterwahlen eine proportionale Vertretung der politischen Kräfte statuieren. Diesfalls spielt die Parteizugehörigkeit sicher eine wichtige Rolle.

 

Auch die Richterwahlbehörde ist in der Schweiz nicht einheitlich: Teilweise finden Volkswahlen statt, teilweise entscheidet ein Parlament oder es gibt andere weitere Lösungen. Bezirksrichter werden z.B. im Kanton Wallis vom Kantonsgericht gewählt. Dort spielt die Parteizugehörigkeit der Kandidaten keine Rolle. Viele Bezirksrichter sind folglich im Kanton Wallis nicht mehr Mitglied einer politischen Partei.

 

Die Kantone kennen teilweise auch unterschiedliche Fachgremien, welche der eigentlichen Wahlbehörde bei Richterwahlen vorgeschaltet sind. Der Kanton Wallis verfügt z.B. über einen Justizrat, der sich aus unterschiedlichen Fachpersonen (Anwälte, Staatsanwälte, HR-Spezialisten, Richter usw.) zusammensetzt. Dieser gibt bei Kantonsrichterwahlen der Justizkommission des Parlaments einen Bericht über die Kandidaten ab. Vorschläge dieser Kommissionen fussen regelmässig nicht auf politischen Überlegungen, sondern bewerten objektive Kriterien wie z.B. die Ausbildung, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse oder Assessments zur Persönlichkeit der Kandidaten.

Ich werde alle paar Jahre mit Fällen konfrontiert, bei denen überregional tätige Medien und viele Zuschauer anwesend sind. - Dr. Thierry Schnyder

Können Sie uns von einem Gerichtsfall erzählen, der in Ihrer beruflichen Laufbahn als Richter besonders herausragte?

 

Ein Fall kann aus Sicht des Richters auf verschiedene Weise besonders sein. Dazu ein paar Beispiele:

 

Ich werde alle paar Jahre mit Fällen konfrontiert, bei denen überregional tätige Medien und viele Zuschauer anwesend sind.

 

Ein Richter wird, gerade im Strafrecht, teils mit Situationen konfrontiert, welche für die Parteien äusserst tragisch sind.

 

Es können sich schliesslich in einem eher unspektakulären Fall Fragen stellen, die ausserordentlich schwierig zu beantworten sind und die zu einem überdurchschnittlichen Aufwand führen.

 

Das alles führt zu Fällen, die besonders herausragen. Von einem spezifischen Fall möchte ich aufgrund des Amtsgeheimnisses nicht detailliert erzählen.

Die Richterarbeit ist am Kantonsgericht auf jeden Fall deutlich theoretischer geworden. - Dr. Thierry Schnyder

Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag als Kantonsrichter aus?

 

Die Eigenredaktion von Urteilen sowie das Prüfen von deutsch- oder französischsprachigen Entscheidentwürfen, die von Richterkolleginnen und Richterkollegen sowie Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreibern verfasst worden sind, bilden meine Hauptarbeit. Es gibt vor der zweiten Instanz, je nach Abteilung, deutlich weniger Gerichtssitzungen, als dies vor Bezirksgericht der Fall ist. Es gibt aber viel mehr Texte von Drittpersonen zu lesen. Die Richterarbeit ist am Kantonsgericht auf jeden Fall deutlich theoretischer geworden.

 

Daneben investiere ich verhältnismässig viel Zeit mit Justizmanagement, z.B. der Qualifikation von Mitarbeitern, dem Regeln von Personalfragen, der dezentralen Gerichtsorganisation, der Fortbildung von Anwaltspraktikanten, dem Vorbereiten von Vernehmlassungen oder dem Beantworten allfälliger Medienanfragen.

 

Auch die eigene Fortbildung, z.B. das Lesen von Bundesgerichtsentscheiden oder das Prüfen von Gesetzesrevisionen erfordert einen Teil der Arbeitszeit.

 

Neben Ihrer beruflichen Tätigkeit als Richter, Autor und Dozent an der Fernuni Schweiz, haben Sie Kinder, unternehmen Höhenwanderungen und engagieren sich für Handball. Wie schaffen Sie es, all dies unter einen Hut zu bringen?

 

Wichtigste Voraussetzung ist sicher, dass ich Freude an den verschiedenen Aufgaben habe und sich diese entweder recht gut ergänzen oder einen Ausgleich schaffen. Meine privaten und beruflichen «Teams» funktionieren ausserdem hervorragend.

Die Studentinnen und Studenten verfügen beim Fernstudium über mehr organisatorische Freiheiten und nehmen weniger am Studentenleben teil als diejenigen an einer Präsenzuniversität. Dies kann je nach Lebenssituation ein Vor- oder ein Nachteil sein. - Dr. Thierry Schnyder

Welche Vorteile sehen Sie im Rechtsstudium an der FernUni Schweiz?

 

Die Studentinnen und Studenten verfügen beim Fernstudium über mehr organisatorische Freiheiten und nehmen weniger am Studentenleben teil als diejenigen an einer Präsenzuniversität. Dies kann je nach Lebenssituation ein Vor- oder ein Nachteil sein. Es führt dazu, dass an der FernUni durchschnittlich eher ältere Personen eingeschrieben sind, die dementsprechend über eine andere Lebenserfahrung verfügen.

 

Das Rechtsstudium an der  FernUni Schweiz  ermöglicht im Übrigen ebenso einen Masterabschluss. Dieser ist erforderlich, um anschliessend ein Anwaltsdiplom zu erlangen.

 

Welche Ratschläge möchten Sie Jurastudierenden geben, die sich für eine Karriere am Gericht interessieren?

 

Ein Rechtsstudium ermöglicht viele interessanter Berufe, weshalb ich mir als Studentin oder Student alle Optionen offen lassen würde. Wenn mich eine Studentin oder ein Student um einen entsprechenden Rat bittet, würde ich dieser Person empfehlen, sich primär mit dem nächsten möglichen Schritt nach dem Jurastudium auseinanderzusetzen, nämlich dem Anwaltspraktikum und den entsprechenden Examen. Ich würde mich folglich an der Universität für möglichst viele Module einschreiben, welche auch Prüfungsgegenstände des Anwaltsexamens behandeln.

 

Ich würde der Person ausserdem empfehlen, bereits während des Studiums an verschiedenen Stellen (Anwalt, Unternehmen, Verwaltung, Staatsanwaltschaft und Gericht) Kurzpraktika zu absolvieren, um die verschiedenen Optionen in der Praxis kennenlernen zu können. Auch gute Kenntnisse der relevanten Amtssprachen sind in jedem Fall von Vorteil und können während des Studiums vertieft werden. Schliesslich bin ich der Meinung, dass es hilft, sich ausserhalb des Studiums zu engagieren, um auch dort Kenntnisse zu erlangen.

 

Herzlichen Dank für das Teilen Ihrer Erfahrungen und für die Einblicke in die Welt der Richtertätigkeit. Wir wünschen Ihnen alles Gute!

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